
Value-Investing kehrt zurück: Traditionsbranchen profitieren von steigenden Zinsen und veränderter Wirtschaftspolitik – die Rückkehr zur Substanz. (Foto: freepik)
Value-Aktien galten einst als Königsdisziplin der Börse – doch im Rausch der Tech-Blase verkam die Strategie zum Märchen aus alten Lehrbüchern. Jetzt mehren sich die Anzeichen, dass die Strategie des „Kaufens von Ramsch zu Cent-Beträgen“ zurückkehrt. Das zeigen nicht nur die Kurse, sondern auch die Ergebnisse der besten globalen Aktienfonds der vergangenen 5 Jahre. Steht uns ein historisches Revival der Value-Philosophie bevor? Und könnte ausgerechnet Donald Trump, der Meister der Handelskriege, den Value-Jüngern den Weg zum Siegeszug ebnen?
Die Geburtsstunde einer Legende: Grahams Vermächtnis
Es begann mit einem Mann, der die Börse als psychologisches Schlachtfeld verstand: Benjamin Graham, der Vater des Value-Investings. In den Trümmern der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre entwickelte er eine Philosophie, die so simpel wie revolutionär war: „Kaufe einen Dollar für 50 Cent.“
Sein Schüler Warren Buffett veredelte die Lehre später zur Kunstform, indem er nicht nur Bilanzzahlen, sondern auch „wirtschaftliche Burggräben“ suchte – Unternehmen mit unzerstörbaren Wettbewerbsvorteilen. Doch der Kern blieb: Value-Investing ist die Suche nach dem Widerspruch zwischen Markthysterie und betriebswirtschaftlicher Realität. Ein Spiel gegen die menschliche Natur, das Disziplin und einen eisernen Magen verlangt.
Kennzahlen: Die Bibel der Value-Jünger
Wer nach Value-Aktien jagt, durchforstet Bilanzen wie ein Archäologe vergessene Ruinen. Die heilige Dreifaltigkeit der Kennzahlen lautet: Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und Dividendenrendite. Ein KGV unterhalb des Branchendurchschnitts signalisiert, dass der Markt dem Unternehmen misstraut – oft zu Unrecht. Ein KBV unter 1 bedeutet, dass die Aktionäre theoretisch das Unternehmen billiger kaufen, als seine Maschinen, Immobilien und Lagerbestände wert sind. Und eine hohe Dividendenrendite ist nicht nur ein Cashflow-Geschenk, sondern ein Indiz dafür, dass das Management Aktionäre ernst nimmt.
Doch Vorsicht: Diese Zahlen sind kein Freifahrtschein. Wie Buffett warnt: „Ein schlechtes Unternehmen ist kein Schnäppchen – egal wie billig es ist.“
Branchen: Die Geisterstädte des Kapitalismus
Value-Aktien verstecken sich nicht in den Silicon Valleys dieser Welt, sondern in den Industrieparks des Rust Belts, in den Back Offices der Großbanken oder auf den öligen Förderplattformen der Nordsee.
Banken wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank – jahrelang gegeißelt von Negativzinsen und Regulierungswut – horten Eigenkapitalquoten von über 13 Prozent, doch der Markt traut ihnen nicht.
Energiekonzerne wie ExxonMobil oder Shell, die noch vor kurzem als Klimasünder verteufelt wurden, spülen dank des Ölpreis-Kollateralnutzens der Ukraine-Krise Milliarden-Cashflows ein – und handeln dennoch mit KBVs von unter 1,5.
Industriegiganten wie Siemens oder General Electric, einst Flaggschiffe der Globalisierung, kämpfen mit Lieferketten-Chaos – doch ihre Patente und Kundenstämme sind Gold wert. Diese Branchen galten lange als Antitheater zur Tech-Bühne: unsexy, ungeliebt, aber voller verborgener Schätze.

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Das verlorene Jahrzehnt: Wie die Tech-Monster Value töteten
Die Jahre 2010 bis 2020 werden als dunkles Zeitalter des Value-Investings in die Geschichte eingehen. Während der Nasdaq um 500 Prozent explodierte, dümpelten Value-Indizes wie Schiffbrüchige in einer Flaute. Schuld war ein toxischer Mix aus Nullzins, Quantitative Easing und der Hybris der Tech-Eliten. Unternehmen wie Tesla, das jahrelang rote Zahlen schrieb, wurden mit Bewertungen jenseits der 1.000-fachen Gewinne gehandelt – eine Verhöhnung jeder Graham’schen Logik.
Die FAANG-Aktien (Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google) inszenierten sich als unsterbliche Wachstumsgötter, während Value-Firmen als Fossilien der „Old Economy“ abgestempelt wurden. Doch wie immer in der Börsengeschichte wurde die Euphorie zur Falle: Seit 2022 korrigierten sich viele Tech-Titel um 50 bis 70 Prozent, während Value-Aktien wie BP oder Citigroup leise davonzogen.
Im Jahr 2023 ging es dank der KI-Euphorie zwar wieder in die entgegengesetzte Richtung – doch die Renditen der Top-Value-Fonds der zurückliegenden 5 Jahre verraten eine andere Geschichte.
Das perfekte Comeback-Szenario: Zinsen, Inflation – und Trump
3 Faktoren könnten die Value-Renaissance zementieren:
- Die Zinswende: Mit Leitzinsen von 5 Prozent und mehr in den USA verlieren zukunftsgläubige Tech-Werte ihren Zauber. Jeder Dollar Gewinn in fernen Jahren ist plötzlich weniger wert. Value-Firmen mit heutigen Cashflows – ob Ölkonzerne oder Versorger – werden zur sicheren Bank.
- Die Inflation: Steigende Preise treiben die Umsätze von Rohstoffproduzenten und Industrieunternehmen, während Tech-Firmen unter Margendruck und teuren Krediten stöhnen.
- Trumps Zollpolitik: Sein Plan für 10 Prozent Universalzölle plus Extrazölle je nach Land wäre ein Beben. Protektionismus schützt heimische Industrien – oft Value-Schwergewichte aus Sektoren wie Stahl (Nucor), Chemie (BASF) oder Auto (Ford). Gleichzeitig könnten Handelskriege die Inflation weiter anheizen, was Value-Sektoren mit „harten“ Assets begünstigt.
Ein Musterbeispiel: Der US-Stahlhersteller Cleveland-Cliffs hat seit 2022 dank hoher Stahlpreise und Reshoring-Trends seinen Gewinn verzehnfacht – doch gehandelt wird er immer noch mit einem KGV von 5. Für Value-Jünger ist das kein Widerspruch, sondern die Essenz der Strategie: Märkte brauchen Zeit, um ihre Ignoranz zu bereuen.
Cashflow schlägt AI: Die Champions unter den globalen Fonds
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die Top-Performer über 5 Jahre sind keine Tech-Hipster, sondern Value-Puristen. Die Siegerliste liest sich wie ein Who-is-Who der Value-Elite – Fonds, die in vergessene Branchen, unterbewertete Bücher und Cashflow-Maschinen investierten:
- Long Term Investment Fund (Sia) Classic (plus 157,47 Prozent): Der Fonds setzt vor allem auf europäische Konsumgüter, Gesundheit und Industrie – und beweist, dass selbst „langweilige“ Value-Aktien explosive Renditen liefern können.
- Ninety One Global Value Equity Fund (plus 145,66 Prozent): Hier regiert das Mantra der „Margin of Safety“. Der Fonds fischt in Industrienationen und Schwellenländern nach Unternehmen mit stabilen Bilanzen und chronischer Unterbewertung.
- Fidelity Global Industrials (plus 145,32 Prozent): Kein reiner Value-Fonds, aber ein Beweis, dass die Old Economy rockt. Der Fonds konzentriert sich auf Maschinenbauer, Logistik und Infrastruktur – Sektoren, die von Reshoring und Inflation profitieren.
- Quantex Global Value (plus 144,75 Prozent): Ein quantitativer Ansatz, der weltweit nach Aktien mit niedrigem KGV, hoher Dividende und starken Cashflows screent – und damit selbst in Kanada und Venezuela verborgene Perlen findet.
- MFS Contrarian Value Fund (plus 141,96 Prozent): Wie der Name sagt: Hier wird gegen den Strom geschwommen. Der Fonds kauft, was der Markt hasst – von US-Regionalbanken bis zu britischen Versicherern.
Diese Fonds sind kein Zufall, sondern Symptom eines Paradigmenwechsels. Während Tech 2023 kurzzeitig zurückkehrte, zeigen die 5-Jahres-Charts: Value ist kein Auslaufmodell, sondern ein zyklisches Phänomen – und die Zyklen drehen sich gerade.
Die besten globalen Aktienfonds über 5 Jahre im Überblick:

Quelle: FWW / Stand der Daten: 7. April 2025
Fazit: Die Rückkehr der Börsen-Vernunft – Graham würde lächeln
Die Börse ist ein Ort der Extreme: Nach jedem Hype folgt die Ernüchterung, nach jeder Blase die Rückkehr zu den Basics. Value-Investing ist keine Strategie für TikTok-Generationen, die den nächsten Hype suchen – es ist die Kunst, in Ruinen Diamanten zu finden. Die Vorzeichen stehen gut: Höhere Zinsen entzaubern die Tech-Überflieger, Inflation stärkt die „Old Economy“, und Trumps Zollpolitik könnte den Value-Sektoren einen politischen Turbo verpassen.
Doch Vorsicht: Value-Investing ist kein Selbstläufer. Wer heute in Banken oder Stahlwerke investiert, wettet auf einen langen Atem – und darauf, dass die Märkte irgendwann wieder Grahams alte Weisheit bestätigen: „Auf Dauer ist der Markt ein Waage-Gerät. Kurzfristig ist er ein Volkszähler.“ Die Waage scheint sich gerade zu drehen. Die Frage ist nicht ob Value zurückkommt – sondern wie explosiv.
Die Konvergenz aus Zinswende, inflationären Sturmwinden und protektionistischen Experimenten schafft ein Szenario, in dem unterbewertete Aktien zum Sicherheitsanker werden. Trumps Zölle mögen ökonomisch umstritten sein, doch für Value-Sektoren sind sie ein Brandbeschleuniger – sie zwingen den Markt, sich auf Unternehmen zu besinnen, die reale Güter produzieren, nicht virtuelle Träume. Gleichzeitig entlarvt die aktuelle Volatilität die Schwächen überteuerter Wachstumswerte, während Value-Aktien mit ihren bodenständigen Kennzahlen als Bollwerk gegen die Unberechenbarkeit der Märkte glänzen.
Am Ende geht es um mehr als Rendite: Es ist ein philosophischer Clash zwischen Spekulation und Substanz. Value-Investing fordert uns auf, dem Lärm der Börse zu misstrauen – und stattdessen in der Stille der Bilanzen zu lesen. In einer Welt, die von KI-Hysterie und Schuldenbergen geprägt ist, könnte diese Strategie nicht nur ein Comeback feiern, sondern zum notwendigen Gegengift werden. Grahams Geist ist zurück – und diesmal trägt er nicht nur einen Sicherheitsmargin, sondern auch einen Plan für die Ära der Entzauberung.
Disclaimer:
Keine Anlageberatung. Kein Aufruf zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren.
Über den Autor

Sven wurde 1969 in Suhl/Thüringen geboren. Er beschäftigt sich bereits seit den 1990er-Jahren mit den Finanzthemen, Wirtschaft und Investmentfonds. Er investiert selbst seit vielen Jahren in aktiv gemanagte Fonds und profitiert von zahlreichen Kontakten in der Branche sowie regelmäßigen Gesprächen mit renommierten Portfoliomanagern. Sven ist hauptberuflich Fondsanalyst bei der GSR GmbH.


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