Das Wichtigste in Kürze
- Eine junge Generation an Spekulanten übt den Aufstand gegen die Wall Street.
- Der Kampf gegen Shortseller verwandelt die Börse in ein Casino ohne Regeln.
- FOMO sorgt dafür, dass immer mehr Menschen wertlose Aktien kaufen.
- Seriöse Unternehmen und Kapitalgeber können in Schwierigkeiten geraten, eine ernsthafte Krise droht.
Es klingt zunächst wie der Aufstand des Proletariats gegen böse Hedgefonds und Börsenzocker, wie eine neue Verteilung des Geldes von oben nach unten. Nutzer und Nerds verabreden sich zur Revolution gegen einen Profi-Investor, der auf fallende Kurse eines einst beliebten Unternehmens, GameStop, gewettet hat. Die GameStop-Aktie steigt raketenartig und zieht große Aufmerksamkeit mit sich. Der Shortseller und Leerverkäufer Melvin Capital wird gezwungen, seine leerverkauften Aktien zu verlustbringenden und hohen Kursen zurückzukaufen. Doch ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht. Immer mehr Spekulanten wittern große Gewinne und treiben den Kurs der Aktie hoch. Unterstützt wird das Ganze auch noch von Elon Musk, der auf Twitter seine Follower mit subtilen Botschaften antreibt und der Aktie von GameStop noch mehr Aufmerksamkeit bringt.
Wenn Aktienhandel zum Glücksspiel wird
Dieser Coup gegen GameStop ist gelungen. Melvin gerät in Schwierigkeiten und muss von größeren namhaften Hedgefonds mit Milliarden-Krediten unterstützt werden. Doch damit ist die Geschichte noch nicht vorbei. Sie fängt gerade erst an. Denn an der Börse und in der Psychologie gibt es ein Phänomen, das die Grundlage für alle Blasen und die Ursache für Spekulationsblasen bildet: FOMO. Fear of missing out, also das Gefühl etwas zu verpassen, ist der Grund für Sucht und Neid in Social Media. FOMO verzerrt die Sichtweise auf die Realität, Risiken werden ausgeblendet und der mögliche Hauptgewinn oder das was man zu verpassen glaubt, rückt in den Fokus. Ein unabweisbares Verlangen entsteht.
Und genau das ist jetzt geschehen:
In sozialen Netzwerken und auf Reddit, der Platform, wo sich die junge Generation von Anlegern als erstes im Kanal „r/wallstreetbets“ (WSB) auf den Kauf von GameStop-Aktien geeinigt hatten, kommen immer mehr junge Menschen zusammen, die die erste Welle verpasst haben. Sie diskutieren über neue Vorschläge und Aktien, die man als nächstes hochkaufen sollte. Die Börse wird zur Spielwiese, zum Roulette für Glücksspieler, die sich hohe Gewinne versprechen. Doch mit Investieren und Anlegen haben diese Auswüchse nichts mehr zu tun. Es ist fatal auf diesen Zug aufzuspringen, in der Hoffnung schnell viel Geld zu gewinnen. Da kann man gleich im Casino zocken. Wer seinem Spieltrieb nachgehen möchte, soll es einfach in einem Online Casino tun und kostenlose Spiele ausprobieren, ohne das Risiko eines Totalverlustes.
Vor allem aber: Mit dem Glücksspiel an einem Automaten gefährdet niemand das globale Finanzsystem. Der Kampf gegen Hedgefonds ist aber sehr wohl riskant für das System. Wenn Banken und Hedgefonds beginnen nervös zu werden und ihre Positionen schließen und sich gegenseitig kein Geld mehr leihen, haben wir genau das Szenario, das die Finanzkrise 2008 eingeleitet hat. Wenn sich die Masse an unerfahrenen Anlegern auf nahezu wertlose Unternehmen stürzt und ihre Aktien kauft, sorgt sie dafür, dass auch gesunde Unternehmen ins Straucheln geraten. Kreditlinien werden gekürzt, Bilanzen geraten in Schieflage und Mitarbeiter müssen entlassen werden. Das ist verantwortungslos. Und am Ende hat niemand gewonnen.
Wie FOMO Kurse antreibt:
Bekanntestes Beispiel für FOMO ist der Hype um Bitcoin und Kryptowährungen. Je prominenter der Bitcoin wird und je mehr die Medien über die möglichen Gewinne berichten, desto mehr Menschen glauben, dass ihnen etwas entgeht. Dann kaufen immer mehr Menschen Bitcoin, obwohl die allermeisten von ihnen nicht einmal ansatzweise verstehen, wie die Kryptowährung funktioniert und welchen Nutzen ihre neue Anlageform hat, wenn es denn überhaupt als Kapitalanlage bezeichnet werden kann. Die meisten Bitcoin-Investoren wollen nur den schnellen Gewinn, weil andere zuvor schon hohe Gewinne machen konnten. Sie haben Angst, dass der Kurs ohne sie weiter nach oben geht.
Short Selling ist nicht das eigentliche Problem
Wenn Reddit-Nutzer auf WSB und Millionen Menschen weltweit eine Abneigung gegen Shortseller haben, ist das angesichts des Mechanismus, der hinter Leerverkäufen steht, erstmal verständlich. Doch dann muss die Diskussion auf politischer Ebene geführt werden. Das Hochkaufen von wertlosen Unternehmen ohne fundamentale Grundlage ist keine Lösung und bringt weitere massive Probleme für die globale Wirtschaft mit sich. Das Risiko wird Elon Musk vielleicht erst begreifen, wenn auch Tesla keine Kredite mehr bekommt, nachdem Investmentbanken in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Die Corona-Krise hat bereits einen schmerzhaften Schlag gegen die Weltwirtschaft verpasst. Da sollte man gerade jetzt keine Experimente mit Banken und Hedgefonds wagen, auch wenn man sich als moralischen Sieger sieht.
Schließlich gibt es auch diskutable Gründe für das Short Selling. Leerverkäufe haben nämlich auch eine marktbereinigende Funktion. Profis analysieren Unternehmen und suchen sich für Leerverkäufer diejenigen aus, die ihrer Ansicht nach völlig überbewertet sind. Dadurch sorgen sie dafür, dass Kurse nicht ohne fundamentale Gründe grenzenlos hochschießen. Das kann man mögen oder verwerflich finden. Doch nicht das Short Selling ist das eigentliche Problem für seriöse Unternehmen und Anleger. Vielmehr ist die verbotene Absprache zum gemeinsamen Short Selling ein Problem, für das wirksame Gegenmechanismen entwickelt werden müssen.
Bildnachweise: © mitoria - stock.adobe.com (nach Reihenfolge im Beitrag sortiert)
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