Die breite Masse der Privatanleger konzentrieren sich bei der Aktienbewertung auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Wir haben das KGV erst kürzlich näher beleuchtet. Wenn es um die Frage der wesentlichen, langfristigen Kurstreiber geht, sind die Antworten meist Umsatz- und Gewinnwachstum. Studien widerlegen jedoch diese Annahme. Die Wirtschaftsberatung McKinsey hat mehr als 2.200 Unternehmen im Zeitraum von 2005 bis 2015 analysiert. Das Ergebnis: Die Kapitalrendite (ROIC) hat mehr Einfluss als Werttreiber als das Umsatz- oder das Gewinnwachstum.
Eine positive Netto-Kapitalrendite ist entscheidend
Die Kapitalrendite – Return on Invested Capital (ROIC) – misst, wie gut ein Unternehmen seine liquiden Mittel zur Erzielung von Renditen einsetzt. Um Wert zu schaffen, muss die Kapitalrendite nach Abzug der Kapitalkosten positiv sein. Werden die Kapitalkosten (WACC – Weighted Average Cost of Capital) nicht beachtet, kann das zu falschen Investitionsentscheidungen führen und zur Vermögensvernichtung beitragen. Die Differenz aus Kapitalrendite und Kapitalkosten wird auch ROIC-Spread oder Netto-Kapitalrendite genannt.
Beispiel: Kapitalallokator vs. Kapitalvernichter
Einen wunderbaren Peer-Vergleich stellen die 2 Discount-Einzelhandelsketten Dollarama aus Kanada und Dollar Tree aus den USA dar. Beide Unternehmen sind im selben Geschäftszweig tätig. Das ist bei der Betrachtung des ROIC-Spreads wichtig, da dieser von Sektor zu Sektor variieren kann.
Während Dollarama deutlich Wert schafft, mit einem ROIC von 22 Prozent und gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten von 5 Prozent, ist Dollar Tree ein Wertvernichter. Der ROIC beträgt lediglich 1 Prozent und die Kapitalkosten 7 Prozent. Somit lieg der ROIC Spread im negativen Bereich bei minus 7 Prozent.
- Merke: Der ROIC Spread muss positiv sein. [ROIC Spread = ROIC – WACC]
- Merke: Die Kapitalrenditen sind von Sektor zu Sektor unterschiedlich. Kapitalrenditeschwache Sektoren wie Energie, Versorger, Real Estate oder Rohstoffe gilt es zu vermeiden.
Unternehmen, die einen hohen ROIC Spread erzielen, sollten das Wachstum forcieren. Nur wenn Gewinne in Wachstumschancen reinvestiert werden, kann die künftige finanzielle Leistungsfähigkeit ausgeschöpft werden. Unternehmen hingegen, die Wert vernichten, sollten sich zuerst auf einen positiven ROIC Spread konzentrieren, bevor weiter in Wachstum investiert wird. Als Investor gibt es keinen Grund in ein Unternehmen zu investieren, welches noch an stabilen Kapitalrenditen arbeiten muss.
Der Zusammenhang mit dem Cashflow und Wachstum
Zurück zum Beispiel: Dollarma und Dollar Tree wollen ihren Gewinn um 6 Prozent im nächsten Jahr steigern. Während Dollarama nur 27 Prozent [1-(22/6)] reinvestieren muss und dem Unternehmen 73 Prozent für Dividenden, Schuldentilgung, Aktienrückkäufe und Cashflow verbleiben, müsste Dollar Tree dafür 600 Prozent [1-(1/6)] reinvestieren. Dollar Tree muss dafür Schulden aufnehmen, neue Aktien ausgeben und/oder Dividenden kürzen. Der Zusammenhang zwischen ROIC, Wachstum und Cashflow sollte damit klarer werden. Als Aktionär geht es um einen gesunden Cashflow. Ein hoher ROIC ist ein wahrer Cashflow-Katalysator.
Der ROIC als Burggraben
Unternehmen die langfristig einen ROIC von über 20 Prozent erzielen, beweisen, dass die Kapitalkosten im Einklang mit der Kapitalrendite liegen. Diese Unternehmen liefern statistisch auch nach 10 Jahren noch eine überdurchschnittlich hohe Rendite. Unternehmen mit einem stets hohen ROIC werden vom Markt als sogenannte Burggraben-Unternehmen erkannt und auch höher bewertet. Die Datenlage von McKinsey bestätigt, dass eine hohe Kapitalrendite die Bewertungskennzahlen wie etwa das KGV deutlich mehr beeinflusst als das Umsatz- oder Gewinnwachstum.
ROIC als Finanzkennzahl in Geschäftsberichten
Unternehmen, die aktiv den ROIC in ihren Berichten kommunizieren, signalisieren eine Ausrichtung auf langfristige Aktionärsrendite. Ein hoher ROIC steht für Stabilität, während Kurs- und Gewinnwachstum kurzfristigen Schwankungen unterliegen können. Ein Unternehmen mit hohem ROIC wird bei Investitionen unweigerlich ein stetiges Wachstum generieren können, während Wachstum nicht unbedingt einen hohen ROIC bedeutet, da zum Beispiel teure Übernahmen den ROIC durch Wertvernichtung beeinträchtigen können.
Der ROIC kann Qualitäts- und Kostenführerschaft aufschlüsseln
Die grundsätzliche Formel des ROIC lautet NOPAT [EBITDA * (1- Steuersatz)] / Investiertes Kapital
Doch Kennzahlen lassen sich detailgetreuer aufschlüsseln. Löst man die Formel in mehrere Einzelteile auf, lassen sich die Fähigkeiten des Unternehmens demonstrieren:
- Minimierung der Steuern
- Maximierung der Profitabilität (Qualitätsführerschaft)
- Optimierung der Effizienz (Kostenführerschaft)
Fazit: der ROIC als Kennzahl
Die Kapitalrendite nach Abzug der Kapitalkosten stellt eine wunderbare Kennzahl dar, um die Qualität eines Unternehmens und seine Fähigkeit „Wert zu schaffen“ zu bewerten. Unternehmen, die langfristig einen hohen ROIC-Spread sicherstellen, haben einen Wettbewerbsvorteil. Übernahmen können den ROIC mittelfristig verschlechtern, da das investierte Kapital durch die Übernahmen deutlich steigt. Entscheidend in diesen Fällen ist eine strategisch richtige Entscheidung, sodass langfristig Wert für Aktionäre geschaffen wird und der Goodwill in der Bilanz sich rentiert.
Der ROIC hat kein Alleinstellungsmerkmal, aber er übertrumpft Wachstumskennzahlen. Letztlich werden Unternehmen mit hohem, stabilen ROIC auch vom Markt aufgrund der Qualität höher bewertet.
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